In Bockfließ steht eines der ältesten, sich noch immer im Betrieb befindlichen, Fernwärmeheizwerke Österreichs. Es wurde 1993 quasi als “Bürgerinitiative” geboren und versorgt drei Viertel der 500-Haushalte Ortschaft. Der Rohstoff, welcher für die Verbrennung genutzt wird – das Stroh – fällt im Weinviertel sozusagen als Abfallprodukt an und ist daher preiswerter als Holz. Rund 2.000 Tonnen davon werden jeden Winter verheizt, um Bockfließ mit Warmwasser zu versorgen. In diesem Gespräch erläutern Vorständin Gusti Mandl und Obmann Herbert Wannemacher die Vorteile, Herausforderungen und Zukunft der Technologie Fernwärme.
SADW: Was war der Auslöser dafür, ein Fernwärmewerk in Bockfließ zu errichten?
Gusti Mandl: Der Auslöser war hauptsächlich, dass die EVN Bockfließ mit Gas versorgen wollte. Die umliegenden Ortschaften sind schon in den 60er Jahren mit Gas versorgt worden und deshalb geht die Hauptleitung im Abstand von 2 km an Bockfließ vorbei. Thema war Bockfließ auch zu versorgen und die EVN hatte die Auflage, gleichzeitig ein Biomasse-Projekt durchzurechnen. Die EVN verfolgte dieses Projekt aber nicht weiter und daraufhin hat sich eine Gruppe Bockfließer gefunden, welche sich entschloss, das Projekt durchzuführen. Das war eine Privatinitiative mit circa 13 Leuten. Diese Gruppe hat dann die Bevölkerung informiert und erkundet wie das Interesse ist und es konnten 170 Voranmeldungen gesammelt werden. Im Gemeinderat wurde das Projekt dann präsentiert und es wurde dafür gestimmt.
Große Unterstützung gab es von Seiten der ÖVP und vom damaligen ÖVP Bürgermeister Esberger. Die Gegenpartei hat sich natürlich dagegen gestellt, aber die Mehrheit war dafür. In der Bevölkerung ist auch sehr viel politisiert worden: Einige waren dafür, einige dagegen, aber dem Großteil war’s eher egal. Das Interesse der Bevölkerung war also ganz unterschiedlich. Wir haben dann eben mit 170 Interessenten angefangen.
SADW: Wie viele sind es mittlerweile?
Gusti Mandl: Jetzt haben wir 386 Mitglieder, wir haben also aus allen politischen Lagern Abnehmer. Das entspricht in Bockfließ einer Netzabdeckung von 75 Prozent.
SADW: Das Projekt ist also sozusagen „aus dem Volk gekommen.“
Gusti Mandl: Genau, es war ursprünglich überhaupt nicht politisch.
SADW: Wo liegen die großen Vorteile der Fernwärme gegenüber der normalen Zentralheizung?
Gusti Mandl: Man hat zuhause überhaupt keine Arbeit und braucht nur eine Übergabestation, das Ganze läuft vollkommen automatisch.
SADW: Eine große Herausforderung an der Technologie ist sicherlich, dass die Rohre verlegt werden müssen.
Gusti Mandl: Die Leitungen müssen natürlich verlegt werden, aber das ist auch keine so große Herausforderung. Wir haben in Bockfließ fast jeden Straßenzug aufgegraben und nur ein paar hundert Meter ausgelassen.
Herbert Wannemacher: Das Um und Auf ist einfach der Umweltgedanke: Die Verbrennung von Biomasse ist CO2-neutral, deshalb ist es den Aufwand wert, die Leitungen einmal zu verlegen. Darüber waren sich die Leute früher noch nicht so bewusst, aber heute sagt jeder „weg von den fossilen Brennstoffen.“
Gusti Mandl: Das Stroh ist mehr oder weniger ein Abfallprodukt und nachdem es bei uns fast keine Viehwirtschaft gibt, braucht es auch fast keiner.
SADW: Und der Brennstoff, also das Stroh, ist eigentlich Überschuss?
Gusti Mandl: Ja, zum Großteil ist das Stroh ein Abfallprodukt und nachdem es bei uns fast keine Viehwirtschaft gibt, braucht es auch fast keiner. Nur die Biobauern müssen es mittlerweile auch am Feld lassen, aber eigentlich ist es ein Abfallprodukt.
Herbert Wannemacher: Vor dreißig Jahren hat man die Felder noch angezündet. Nachdem gedroschen wurde, hat alle Tage ein Feld gebrannt. Das war natürlich eine Energieverschwendung und die Rauchentwicklung ist auch nicht zu vernachlässigen. Ungefährlich ist das auch nicht und deshalb sind dann auch viele Äcker verbrannt, die noch nicht abgemäht waren. Wegen dem Umweltgedanken ist die Strohverbrennung damals auch stark gefördert worden.
SADW: Gestaltet sich die Strohverbrennung jetzt schwieriger bzw. sind die Bedingungen anders?
Gusti Mandl: Strohverbrennung ist grundsätzlich eine sehr komplexe Angelegenheit und nicht so einfach wie die Holzverbrennung. Die Technik dahinter ist unvergleichlich aufwendiger und störungsanfälliger. Aber in unserer Gegend hat es sich angeboten, da der Rohstoff Stroh deutlich billiger ist.
SADW: Der Ofen ist also spezialisiert auf die Strohverbrennung?
Gusti Mandl: Genau, wir haben aber zwei Kessel, wobei der zweite ein Hackschnitzelkessel ist. Einen Ölbrenner haben wir auch noch, aber der ist nur Ausfallsreserve – wir brauchen im Jahr keine 1.000 Liter Öl.
SADW: Ist der Holzofen auch oft in Betrieb?
Gusti Mandl: Von der Wärmebringung her haben wir ungefähr ein Verhältnis von 80 Prozent Stroh zu 20 Prozent Holz. Der Holzofen läuft in der Übergangszeit, da er einen kleineren Kessel hat und wenn’s richtig kalt ist brauchen wir beide.
Herbert Wannemacher: Wenn’s untertags also unter 0 Grad hat ist der Strohofen für 400 Abnehmer zu schwach. Dann brauchen wir beide, um genug Energie zur Verfügung stellen zu können. Der Strohofen hat ein Output von 2,5 MW Leistung und der Holzofen 2 MW. Im September und Mai läuft daher nur der Holzofen.
SADW: Wie hat sich der Energie-Output seit Betriebsaufnahme verändert?
Gusti Mandl: 1993 hatten wir beim Werk einen Energieabgang von 1.538 Mwh und 1083 MWh haben die Bockfließer verbraucht (entspricht 70 Prozent Gesamtwirkungsgrad). Bis zum Zeitraum 2011/2012 ist der Abgang auf 3.137 Mwh angestiegen und die verkaufte Energie belief sich auf 2.290 Mwh. Unser Energie-Output hat sich also verdoppelt und auch der Wirkungsgrad ist auf 73 Prozent gestiegen.
SADW: Haben Sie einmal überlegt, eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach zu installieren?
Gusti Mandl: Es war schon einmal angedacht, dass wir die Dachfläche vermieten, aber der Vertrag ist dann nicht zustande gekommen. Für den Eigenbedarf macht es wenig Sinn, weil im Sommer wenn der beste Ertrag zu erwarten wäre, brauchen wir keinen Strom. Die Einspeisetarife sind auch nicht verlockend.
Herbert Wannemacher: Wir bräuchten dafür außerdem einen Geschäftspartner mit Erfahrung, der so etwas schon einmal gemacht hat. Für uns, als Hauptträger so einer Anlage, ist das nicht rentabel.
Gusti Mandl: Wir haben auch einmal ein Projekt mit der FH gemacht. In dem Projekt haben Studenten eine Solaranlage für die Warmwassererzeugung eingeplant. So könnten wir auch einen Sommerbetrieb andenken, aber das ist finanziell überhaupt nicht rentabel. Die Anlage würde sich in 50 Jahren nicht amortisieren. Viele haben außerdem schon zuhause eine Solaranlage.
Herbert Wannemacher: Viele Fernwärmewerke, die Sommerbetrieb haben, stehen wirtschaftlich schlechter da als wir. Der Sommerbetrieb kostet Geld. Der Bedarf ist im Sommer einfach nicht groß genug, um die Verluste, welche in der langen Leitung (12 KM) zustandekommen, auszugleichen.
Gerald Böckl (Aufsichtsrat): Das geht nur mit einem kleinen Netz. Wenn die Verluste im Netz schon 300 KW betragen und man nur 100 KW verkauft, ist das nicht wirtschaftlich. Das im-Kreis-schicken der Energie kostet also mehr als die verkaufte Energiemenge.
SADW: Das größte Problem an der Technologie sind wahrscheinlich die Netzverluste?
Gusti Mandl: Das ist gar nicht so schlimm, wenn das Netz schön dicht ist. In Streusiedlungsgebieten, wo alle 500 Meter ein Haus steht, braucht man über Fernwärmeversorgung aber nicht nachdenken. Für Siedlungen mit vielen Niedrigenergiehäusern gilt dasselbe. In Ortschaften mit viel Altbausubstanz ist das natürlich ganz anders.
Herbert Wannemacher: In Dänemark gibt es Netze die zig Kilometer lang sind. Dort wird „alles“ verheizt: Biomasse, Stroh, Holz, Fischschlamm, Müll – einfach alles. Da sind ganze Gebiete, also mehrere Ortschaften, miteinander verbunden. Das natürlich ist aber auch eine Frage der Förderungen und der Energiepreise, es kommt also auch auf den politischen Wille an. Wenn Öl-Kessel noch immer gefördert werden, lässt sich so ein Wille schwer erkennen. Heizenergie hat am österreichischen CO2-Ausstoß einen Anteil von 20-25 Prozent, da könnte also einiges bewirkt werden. Aber immer auf den anderen zu zeigen hilft nicht weiter, wir können nur gemeinsam was erreichen.
SADW: Wird regionale Energieversorgung, wie hier in Bockfließ, ihrer Meinung nach in Zukunft auch das Modell für andere Gemeinden sein?
Gusti Mandl: Es wird in diesem Bereich jetzt schon sehr viel umgesetzt – auch von der EVN – aber meistens im kleineren Maßstab. In Deutsch-Wagram im Zentrum wird zum Beispiel ein 500 KW-Werk gebaut, um ein paar Großabnehmer und einige Einfamilienhäuser zu versorgen. Das sind eher „Mikroheizwerke“, welche hauptsächlich mit Hackschnitzeln betrieben werden – Fernwärme wird jetzt also mehr zum Thema. In Strasshof gibt es auch einige Beispiele, überall wo Mehrparteienhäuser entstehen, werden kleine Blockheizwerke errichtet.
Herbert Wannemacher: In unserer Zeit hat’s geheißen, dort wo es Gas gibt, gibt’s kein Biomasse-Heizwerk, weil dafür braucht man zwei Netze. Aber heute hat sich das geändert: In Wolkersdorf wird zum Beispiel beides verwendet und in Gänserndorf jetzt auch. In ganz Österreich gibt’s aber nur noch circa 7 Strohheizwerke, die meisten heizen mit Holz.
SADW: Woher kommt das Holz für die Verbrennung?
Herbert Wannemacher: Es fällt jedes Jahr sehr viel Schadholz an, zum Beispiel durch Käferbefall, Sturmschäden und aktuell sind die Eschen von Pilzen befallen. Da kommt immer recht viel zusammen und das wird dann verheizt. Ideal ist natürlich, wenn man die Energie für die Stromerzeugung und für die Fernwärme verwenden kann. Das ist zum Beispiel in Simmering der Fall.
SADW: Was ist die Lebensdauer eines Ofens und mit welchem Preis fällt er ins Gewicht?
Gerald Böckl: Das sind in etwa 20 Jahre. Der Ofen mit dem Wärmetauscher allein kostet in etwa 250.000 Euro. Teuer sind die Filter, Zuführungen, Baumaßnahmen, die Hydraulik, die Steuerung und so weiter. In Summe kommt dann schon eine Million zusammen.
Gusti Mandl: Die Förderungen, welche wir erhalten, hängen außerdem vom eingesparten CO2 ab. Eine Förderung zu bekommen ist nicht so leicht, man muss sehr viele Formulare ausfüllen und es ist ein irrsinniger Zeit- und Datenaufwand.
SADW: Gibt es für die Zukunft Pläne?
Herbert Wannemacher: Das verbessern was schon da ist. Wir müssen natürlich auch immer wieder Geräte erneuern und austauschen.